Vorträge

Freitag

Dr. Angelica Ensel

Gebären im 21. Jahrhundert – Welches Wissen brauchen wir?

Als Hebamme und Kulturwissenschaftlerin blickt Angelica Ensel auf die heutige Geburtskultur mit hohen Eingriffsraten, die dazu geführt haben, dass ein Drittel der Erstgebärenden ein halbes Jahr nach der Geburt diese als negativ in Erinnerung habe. Ein Grund dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass ein großer Teil geburtshilflichen Wissens entgegen aller Evidenzen nicht umgesetzt wird. Geburt ist ein bio-psycho-soziales existenzielles Geschehen mit einem hohen salutogenetischen Potenzial. Und dennoch ist die gekonnte Nichtintervention eine Randerscheinung – die es zu fördern gilt. Angelica Ensel fordert die Fachleute in der Geburtshilfe zu einem selbstverständlichen Dialog auf, um das beste Wissen an die Gebärenden, ihre Kinder und in die Familien zu bringen.

Björg Pálsdóttir

Geburtshilfe in Island – von guter Praxis lernen

Insgesamt sind auf den Seiten häufig die Gedankenstriche noch kurz >> bitte durchsehen und korrigieren! Ein Land, in dem Kinder normal und in Würde geboren werden, in dem Frauen mit Respekt und Fachwissen begleitet werden, in dem die Kaiserschnittrate niedrig ist und alle Frauen lange stillen – mit der Unterstützung von Hebammen. Utopie? Nein, Wirklichkeit – ganz nah und aktuell. Die Hebammen sind in Island die Schlüsselfiguren in der Betreuung Schwangerer und Gebärender – auf einen Arzt können die Frauen im ländlichen Bereich häufig nicht zurückgreifen. Die Hebamme Björg Pálsdóttir, die in Reykjavik an der Universitätsklinik und freiberuflich auf einer kleinen Insel im Süden des Landes arbeitet, gibt in ihrem Vortrag einen Einblick in die Geburtshilfe in Island, in die sozialen und kulturellen Aspekte und in die Hebammenausbildung.

Prof. Dr. Michael Abou-Dakn | Bettina Kraus | Sylke Otte | Katharina Wenner

Mutmachbeispiel 1: Ent- oder doch Bindungsklinik? Interdisziplinäre Unterstützung der Mutter-(Vater)-Kind-Bindung – von Anfang an

In der Geburtsklinik des St. Joseph Krankenhauses hat in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden: von der klassischen Rolle eines Krankenhauses mit Blick auf Vermeidung und Behandlung von Pathologien und somatischen Veränderungen, hin zu einer begleitenden und Eltern stärkenden Rolle. Angeregt von den Erkenntnissen des „Babyfreundlichen Krankenhauses“ und der Weiterentwicklung der Themen Bindung, Entwicklung und Stillen werden heute alle Handlungen auf ihren Einfluss auf die Mutter-Vater-Kind-Interaktion überprüft – und im Team Vorschläge erarbeitet, wie notwendige Maßnahmen ohne Störung des Bindungsprozesses durchgeführt werden können. In dieser Entwicklung wurden Hierarchien überwunden und ein gemeinsames Ziel formuliert: ein Perinatalzentrum Level 1, das trotz hohen medizinischen Anspruchs keine Entbindungs-Klinik ist.

Prof. Dr. Christiane Schwarz

Die praktische Erlaubnis zum Nichtstun

Die US-amerikanische Fachgesellschaft der Geburtshelfer und Perinatalmediziner haben im März diesen Jahres eine Empfehlung mit Leitliniencharakter veröffentlicht, in der sie die geburtshilfliche Praxis in den USA komplett in Frage stellen – ausgehend von der Erkenntnis, dass die Geburtshilfe zwar immer medizinischer und teurer wird, die geburtshilflichen Ergebnisse sich aber nicht verbessert haben. Die Müttersterblichkeit z.B. hat sich in den USA seit den 1980er Jahren verdoppelt. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autoren der Leitlinie für eine deutliche Senkung der Kaiserschnittrate und geben konkrete Lösungsvorschläge für den Kreißsaal. Christiane Schwarz – beeindruckt von der „revolutionären“ Seite dieser neuen Empfehlung – stellt in ihrem Vortrag die einzelnen Aspekte der Leitlinie vor. Anhand von Fallbeispielen zeigt sie auf, wie diese Expertenempfehlung in der Realität deutscher Kliniken umgesetzt werden könnte.

Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner

An allem ist die Mutter schuld? Pränatale Ursachen von Erkrankungen im späteren Leben

Die Einflüsse während der Prä- und Perinatalperiode haben neben der genetischen Disposition eine prägende Bedeutung für Gesundheit und Krankheit im späteren Leben. Die sogenannte „Fetale Programmierung“ bezeichnet einen Prozess, bei dem während besonderer „kritischer“ Entwicklungsphasen durch die „intrauterine Umwelt“ die Funktionsweise von Organen bzw. Organsystemen dauerhaft festgelegt wird. Dabei führt die Adaptation an unphysiologische Umwelteinflüsse wie intrauterine Mangelversorgung, prä- oder auch neonatale Überversorgung oder fetale Stressaktivierung zu einer „Fehl-Programmierung“, auf deren Basis sich im späteren Leben chronische Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre und mentale Erkrankungen sowie Allergien entwickeln können. Die Kenntnis über perinatale Programmierungsprozesse dürfte neue Möglichkeiten eröffnen, eine primäre, nachhaltige Prävention dieser Erkrankungen zu erreichen.

Prof. Dr. Rainhild Schäfers

Wie kann die Theorie in die Praxis einfließen? Expertenstandard

Wie kann die Qualität in der Geburtshilfe gesichert werden? Ein Baustein ist die Entwicklung von Leitlinien – die in Deutschland auf sehr unterschiedlichem Niveau und bisher ohne Beteiligung von Hebammen entwickelt werden. Mit dem Expertinnenstandard zur Förderung der physiologischen Geburt haben erstmals Hebammen selbst ihr professionelles Leistungsniveau auf einer breiten Basis wissenschaftlicher Ergebnisse und Erfahrungswissen festgelegt, um so den steigenden Interventionsraten entgegenzuwirken. Anders als bei Leitlinien werden in dem Expertinnenstandard auch notwendige Voraussetzungen in der Struktur eines Hauses und im Prozess der Geburtsbegleitung fokussiert, um die beschriebenen Ergebnisse zu erreichen. Ein wichtiger Meilenstein für unser Hebammenhandeln.

Dr. Michel Odent

Die Geburt und die Zukunft der Menschen

Zweifellos sind Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett diejenigen Phasen menschlichen Lebens, die in den letzten Jahrzehnten am radikalsten aus den verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wurden. Dies führt gerade jetzt zu neuen Fragen, da etliche wissenschaftliche Disziplinen diese Zeit als außerordentlich wichtig in der individuellen Entwicklung eines Menschen bewerten. Im gegenwärtigen wissenschaftlichen Kontext gibt es gute Gründe anzunehmen, dass die Art und Weise, wie wir geboren werden, die Menschen verändern wird. Unter den neueren wissenschaftlichen Disziplinen, die uns eine langfristige Perspektive bieten, sollten wir uns vor allem auf vier konzentrieren: die Epidemiologie, die primäre Gesundheitsforschung („Primal Health Research“), die Epigenetik und auf das, was wir im Zeitalter der „mikrobiologischen Revolution“ lernen. Das Denken in langen Zeiträumen führt uns dazu, die grundlegenden Bedürfnisse gebärender Frauen wiederzuentdecken und zu lernen, die physiologischen Prozesse zu schützen. Der Blick auf die Physiologie ist der einzig erfolgreiche Weg, die negativen Folgen der kulturellen Beeinflussung des Gebärens umzukehren.

Gabriele Fischer

Mutmachbeispiel 2: Der Blick auf das Gesunde: Physiologische Geburten im Perinatalzentrum

„Sanft und sicher“ ist das Motto, das sich das Team des Perinatalzentrums am Klinikum der Friedrich-Schiller Universität Jena auf die Fahnen geschrieben hat. Als Kompetenzzentrum betreut das Team Mütter mit Diabetes, Autoimmunerkrankungen und Thrombophilie – insgesamt etwa 1.400 Kinder werden hier pro Jahr geboren. Dabei liegt die Level-I-Klinik mit ihrer Kaiserschnittrate von 28 % deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Die Jenaer Geburtshilfe blickt auf eine lange Tradition zurück. Das Konzept hat seine eigene Geschichte. Traditionelles Hebammenwissen und Perinatalmedizin ermöglichen im Zusammenspiel eine Geburtshilfe, die sich am Normalen, Gesunden orientiert – auch bei Patientinnen mit schweren Vorerkrankungen oder Risikoschwangerschaft.

Samstag

Lebenslanges Lernen – aus Fehlern lernen

Warum fällt es uns so schwer, Fehler als Chance zu sehen? Als Chance, zu lernen! Wenn wir genau hinsehen, können wir aus unseren eigenen und den Fehlern anderer Wissen ableiten – ein Potenzial, das wir nutzen sollten! Um dieses Potenzial nutzen zu können, brauchen wir auf der einen Seite Handwerkszeug wie z.B. ein auf die Geburtshilfe zugeschnittenes Fehlermanagement. Fallbesprechungen gehören hierbei in die Werkzeugkiste. Und wir müssen verstehen, wie Fehler entstehen. Doch Theorie allein reicht nicht: Wir müssen diesen Ansatz leben. Wie sieht unsere Fehlerkultur aus? Wie gehen wir mit Fehlern – auch emotional – um? Trauen wir uns hinzugucken? Fallbesprechungen dürfen nicht zu einem Tribunal werden, sondern sollten neben dem analytischen Ansatz immer die Zukunft im Blick haben. Nutzen wir doch das Veränderungspotenzial, das Fehlern innewohnt!

PD Dr. Mechthild Groß

Vaginale Geburt nach Kaiserschnitt – wie Forschung bei der Förderung der normalen Geburt helfen kann

Nahezu 30 % aller Zweitgebärenden in Deutschland haben das Merkmal Zustand nach Kaiserschnitt in ihrer Anamnese. Die Datenlage zu einer vaginalen Geburt nach vorausgegangenem Kaiserschnitt ist mittlerweile sehr reichhaltig. So gesehen ermöglicht die Forschung, Entscheidungen rund um das Vorgehen bei einer vaginalen Geburt bei Zustand nach Kaiserschnitt zu unterstützen. Seit Herbst 2012 läuft eine große europäische Studie mit dem Ziel, den Anteil der vaginalen Geburten nach einem Kaiserschnitt zu erhöhen. Durch gezielte Information, frühzeitige Unterstützung von werdenden Müttern und offene Kommunikation zwischen Frauen, Hebammen und Ärzten wird den Frauen bereits in der Schwangerschaft Mut zu einer vaginalen Geburt gemacht.

Stefanie Hertel

Die Stimme der Frauen

Wie sieht der Weg einer Frau aus, die ihre erste Geburt als geplanten Kaiserschnitt erlebt hat, sich für die Folgeschwangerschaft aber eine natürliche Geburt wünscht? Welche Fragen stellt sie sich und möchte sie anderen stellen? Welche Hilfestellungen sind ihr wichtig? Wer sind die richtigen AnsprechpartnerInnen? Welche Unsicherheiten gibt es? Welche Unterstützung benötigt sie – und wann benötigt sie Unterstützung? Stefanie Hertel blickt zurück auf ihren Weg während der zweiten Schwangerschaft, vom erlebten geplanten Kaiserschnitt hin zum großen Wunsch und Erlebnis einer natürlichen Geburt. Ein Weg vom „Entbunden-worden-sein“ hin zum „Selber-geboren-haben“, von einer angstgesteuerten Entscheidung hin zu einem in sich ruhenden Selbstvertrauen in den eigenen Körper und seine Fähigkeiten.  

Verena Schmid

Wehen unterstützen – physiologische Geburten erleben

Nur wer die Physiologie der Wehen versteht und die Frau während der Wehen entsprechend unterstützt, wird physiologische Geburten erleben. Ohne normal empfundene Wehen gibt es keine normale Geburt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Hebammen und Frauen lernen und bereit sein müssen, mit den Wehen umzugehen. Dabei kann der Wehenschmerz auf ein Minimum reduziert werden. Die Psychoneuroendokrinologie hilft, den Mechanismus von Schmerz und Wehen zu verstehen und Mittel zu finden, die Frauen beim Gebären unterstützen.

Regina Hönle | Martina Lehmann

Mutmachbeispiel 3: Gut für die Frauen, gut für die Hebammen: die Vereinbarkeit von Hebammenkunst und hebammenschonender Zusammenarbeit

Was gut für die Frauen ist, ist auch gut für die Hebammen. Davon ist das Team im Hebammenhaus Donauwörth überzeugt. Wertschätzung, die z.B. in der so wichtigen Bindungsfähigkeit der Mutter gegenüber ihrem Kind zum Ausdruck kommt und damit ein wichtiger Baustein für einen gelungenen Start ist, erleben die Hebammen im Rahmen der Betreuung und gleichzeitig als Kraftressource im Team. Anna Stempel-Bullach und Martina Lehmann berichten aus dem Hebammenhaus Donauwörth, wie es gelingen kann, trotz hohem beruflichem Engagement sorgfältig mit den eigenen Kräften umzugehen und ausreichend Zeit für Partnerschaft und Familie zu haben. Dieses Mutmachbeispiel ist kurz vor der Kongress zu einem „Wutmachbeispiel“ geworden – denn das Hebammenhaus Donauwörth kann das Herzstück der Hebammenarbeit, die Geburt, ab Juli nicht mehr anbieten. Und zwar nicht aufgrund „neuer Erkenntnisse“ – denn die Hebammen im Team sind weiterhin davon überzeugt, dass die Geburtshilfe zur Betreuung von Schwangeren dazu gehört –, sondern aufgrund der aktuellen Haftpflichtproblematik. Ihren Vortrag hält Martina Lehmann – anders als im Programm angekündigt – mit ihrer neuen und jungen Kollegin Regina Hönle, zusammen mit ihren Männern, die nicht unbetroffen sind von den Veränderungen.

Tara Franke

Die Anatomie und Physiologie kennen, den Geburtsprozess verstehen

Warum verlaufen manche Geburten schnell und unkompliziert und andere gehen – scheinbar ohne ersichtlichen Grund – mehr schlecht als recht voran? Bereits 1913 hatte der deutsche Gynäkologe und Geburtshelfer Hugo Sellheim seine Theorie vom „Muskelbecken“ als wesentlichen Anteil des Geburtsweges beschrieben. Tara Franke greift diese Idee auf und vermittelt anschaulich, welchen Einfluss sowohl die Muskulatur im Becken als auch die Beweglichkeit des knöchernen Beckengürtels auf den Geburtsprozess haben. Sie stellt aktuelle Evidenzen und Theorien über mögliche äußere und innere Einflüsse auf diese Strukturen dar und zeigt praktische Ansätze auf, wie diese Strukturen während der Geburt in eine physiologische und förderliche Grundspannung gebracht werden können.

Dr. med. Herbert Renz-Polster

Die ersten Stunden: menschlicher Start in ein Menschenleben

Welche Bedeutung haben die ersten Minuten und Stunden nach der Geburt? Ist diese Zeit besonders wichtig für das Bonding, das für die weitere Entwicklung so entscheidend ist? Als die US-amerikanischen Kinderärzte Klaus und Kennell dies vor fast 40 Jahren postulierten, gab es von anderen Wissenschaftlern Widerspruch: Die menschliche Bindung sei weder ein emotionaler Urknall noch auf eine besonders sensible Periode nach der Geburt festgelegt. Bindung sei eher so etwas wie eine gemeinsame Reise – die dann glücke, wenn auf dem Weg gute Erfahrungen gemacht werden können. In seinem Vortrag fasst Dr. Herbert Renz-Polster die Diskussion und den heutigen Kenntnisstand zusammen.